(Ich möchte vorher drauf hinweisen, dass ich keine psychologische Ausbildung habe und ich hier lediglich meine Erfahrungen und Meinung niederschreibe. Ich versuche trotzdem nach bestem Wissen und Gewissen Fakten darzustellen, die ich recherchiert habe. Ich verwende Extroversion anstatt Extraversion zur allgemein besseren Verständlichkeit. Außerdem verwende ich das generische Maskulinum zur Vereinfachung, weibliche und andere Identitäten werden damit eingeschlossen.)
Ich wusste schon immer, dass ich anders bin. Anders als die Mitschüler in der Schule, ja anders als die meisten Menschen. Während andere laut und kontaktfreudig waren, war ich immer schon leise und in mich gekehrt, denn ich bin introvertiert.
Aber was heißt denn überhaupt introvertiert oder extrovertiert?
Es gibt unterschiedliche Theorien und Definitionen, deswegen werde ich euch ein paar Definitionen vorstellen.
1. Im Duden findet man als Bedeutung:
– introvertiert= „auf das eigene Seelenleben gerichtet, nach innen gekehrt; verschlossen“ (Quelle 1.)
– extravertiert/extrovertiert= „nach außen gerichtet, für äußere Einflüsse leicht empfänglich“ (Quelle 2.)
2. auf simplypsychology.org habe ich gefunden: (übersetzt; Quelle3.)
-introvertiert= jemand, der Energie und Kraft aus dem Alleinsein schöpft
-extravertiert= jemand, der Energie aus den Treffen mit anderen zieht
-ambivertiert= liegt auf einer Skala von Introversion zu Extroversion genau mittig
3. auf eu.themyersbriggs.com habe ich gefunden (Quelle 7.):
-introvertiert/extrovertiert= „Woher Sie Ihre Energie am liebsten beziehen bzw. worauf Sie diese richten“ ; also nach außen=extrovertiert/ nach innen= introvertiert
4. auf introvertiert.org habe ich gefunden (Quelle 4.):
-„Introversion und Extroversion sind angeboren und können nicht geändert werden.“
-„C.G. Jung hat Introversion und Extroversion nicht auf die soziale Komponente beschränkt, sondern sie als Präferenz für die äußere oder die innere Welt beschrieben.
Über die Jahrzehnte wurden die Begriffe jedoch immer weiter zurechtgestutzt und „vereinfacht“. Heute ruft das Wort „introvertiert“ vor allem Assoziationen wie „zurückgezogen“, „unsozial“, „allein“ oder „passiv“ hervor.“
-„Introvertierte und Extrovertierte benötigen unterschiedliche Level an Stimulation, um bestmöglich zu funktionieren.“
Für mich war es total wichtig das Introvertiert-sein zu definieren und verschiedene Definitionen zu vergleichen, damit ich mich selbst besser verstehen kann. Wir leben in einer Welt, die Menschen bevorzugt, die laut sind, die Aufmerksamkeit auf sich ziehen und im Mittelpunkt stehen wollen. Wir leben also in einer extrovertierten Welt, die die Extroversion als Ideal darstellt. (Vlg Quelle 9. Buch). Da passe ich als leise, introvertierte Person schlecht ins Bild. Ich habe also gelernt, dass ich aus mir herauskommen soll, mich mehr extrovertiert verhalten soll und dass ich nicht ins Bild passe. Dass Introversion jedoch angeboren (und auch teilweise durch Erziehung beeinflusst) ist und ich das nicht ändern kann, war mir aber neu. Ich muss mich also nicht verstellen um ins Bild zu passen, ich muss verstehen, wer ich bin und kann stolz darauf sein. Ich muss verstehen, dass andere Menschen Introvertiertheit nicht verstehen und deswegen so handeln, wie sie handeln.
Durch verschiedene Recherchen und Bücher habe ich gelernt, dass introvertiert sein nichts Schlechtes ist und ich auch Stärken dadurch habe. Ich beschreibe euch mal, wie ich mich sehe und mich fühle, ein paar Eigenschaften werden allgemein zu Introvertierten zugeordnet:
Ich bin z.B. sehr empathisch, habe ein Gespür für die Bedürfnisse anderer, was ich vor allem in meinem Beruf als Physiotherapeutin merke. Ich löse gerne Probleme, reflektiere gerne und sehr viel mein Verhalten (manchmal auch zu viel), ich habe lieber ein paar enge Freunde als eine große Gruppe und schätze tiefe Gespräche mehr als Smalltalk, ich liebe es intensiv Zeit mit Hobbies wie Lesen, Yoga und Schreiben zu verbringen, am liebsten allein. Ich liebe gemeinsame Zeit mit Lieblingsmenschen zu verbringen, bin aber froh, wenn ich wieder zuhause bin.
Vielleicht habt ihr beim Lesen einige Gemeinsamkeiten festgestellt, dennoch gilt, jeder Mensch ist anders, deswegen gibt es keine allgemein gültige Formel für Extrovertierte und Introvertierte. Um euch selbst besser zu verstehen, kann ich euch die Links/Quellen, die ich am Ende des Artikels gesammelt habe und auch das Buch „Still- die Kraft der Introvertierten“ von Susan Cain und auch z.B. den 16 Persönlichkeitstest (Myers-Briggs/ MBTI unten verlinkt) sehr empfehlen.
Falls es euch interessiert ich bin ein INFP nach dem Myers-Briggs Test. und so setzt sich die Abkürzung zusammen. 1.-4- Buchstabe (Zitat Quelle 10.)
- Extraversion (E) – Introversion (I)
Woher Sie Ihre Energie am liebsten beziehen bzw. worauf Sie diese richten - Empfindung (S) – iNtuition (N)
Die Art der Informationen, die Sie bevorzugt sammeln bzw. der Sie vertrauen - Denken (T) – Fühlen (F)
Die Weise, auf die Sie bevorzugt Entscheidungen fällen - Urteilen (J) – Wahrnehmen (P)
Auf welche Weise Sie sich bevorzugt in der Außenwelt organisieren
Kommen wir zum nächsten Punkt: Vorurteile gegenüber Introvertierten. Viele Menschen beschränken sich bei der Definition von Introversion nur auf die soziale Komponente. Introvertierte werden also als unsozial beschrieben, dass sie nicht gern reden und dass sie schüchtern seien. Es wird häufig abwertend und negativ über uns gesprochen, weswegen ich, als introvertierte Person, immer das Gefühl hatte, dass es schlecht ist so zu sein, obwohl doch meine Familie genauso ist. Es ist wichtig zu verstehen, wie solche Missverständnisse zu Stande kommen.
Erstmal ist es falsch Introversion auf die soziale Komponente runter zu brechen. Wie bereits in den obenstehenden Definitionen beschrieben, gehört zur Introversion z.B. die genetische Veranlagung , eine andere/unterschiedliche Gehirnstimulation und die Art der Energiegewinnung.
Das heißt, ob du introvertiert oder extrovertiert bist, liegt in deiner angeborenen Veranlagung und lässt sich nicht ändern. Durch verschiedene Studien (Quelle 9) wurde außerdem festgestellt, dass Introvertierte eine andere Gehirnstimulation haben/brauchen als Extrovertierte, d.h. dass sie auch noch dann eine gesteigerte Gehirnaktivität aufweisen, wenn keine neuen Reize von außen hinzukommen. Bedeutet also, Introvertierte sind schnell überstimuliert bei zu vielen Reizen. Ich möchte hier nicht zu weit in die Neurobiologie vom Gehirn eintauchen, aber diesen Fakt, fand ich schon erstaunlich. Das erklärt nämlich ganz gut, wieso ich nach einer Party, einer Familienfeier oder nach der Arbeit Zuhause meine Ruhe brauche, selbst wenn ich die Zeit vorher noch so sehr genossen hab. Ich fühle mich überstimuliert und tanke meine Kraft über das Allein-sein wieder auf.
Kommen wir nochmal auf das Vorurteil „unsozial“ zurück. Wenn wir uns die oben beschriebenen Dinge Überstimulation und Energiegewinnung nochmal genauer anschauen, ist es einleuchtend, dass wir Introvertierten, mehr Zeit allein und in Ruhe brauchen und uns das schmerzlich bewusst wird, wenn der Energietank immer noch auf „Recharge“ zeigt, die nächste Party oder das nächste Treffen jedoch schon bevorsteht. Denn jeder Introvertierte hat einen eigenen Zeitmaßstab um Energie zu tanken und braucht unterschiedlich lang. Wir neigen also dazu Verabredungen im Vorhinein hinauszuzögern, abzusagen und zu verschieben.
„Introvertierte reden nicht gern oder viel“ hört man auch immer wieder. Ich kann erstmal nur von mir sprechen, aber ich reden tatsächlich sehr gerne. Das sieht aber schon bei fremden Personen ganz anders aus. Ich habe durch meine Arbeit ganz gut gelernt SmallTalk zu halten, weswegen es für manche erstaunlich ist, dass ich mich als introvertiert bezeichne. Dabei zeigt sich wieder, dass das Introvertiert-sein mit „gerne-reden“ nicht viel zu tun hat, denn ich kann lernen zu reden. Die meisten Introvertierten wählen ihre Worte mit Bedacht und werden daher in einer schnellen, hitzigen Diskussion häufig übersehen, aber verallgemeinern lässt sich die oben stehenden Aussage auf keinen Fall.
Ein weiteres gern genanntes Erkennungsmerkmal von Introvertierten ist fälschlicherweise: „Schüchternheit“.
Auch Extrovertierte Menschen können schüchtern sein, denn
„Schüchternheit ist die Angst, dass andere uns nicht mögen. Es ist eine Antwort auf eine Situation – keine ständige Eigenschaft. Schüchternheit ist nicht vererbbar.
(vgl. Elaine Aron in „The Highly Sensitive Person“ (Quelle 8.)
Häufig sind introvertierte Menschen auch schüchtern, es ist jedoch eine, ich nenn es mal Gewohnheit, die man ablegen kann, im Gegensatz zur Introversion selbst, die angeboren ist.
Wir sehen also, dass es sehr viele Missverständnisse gibt, die durch Unwissenheit auftreten. Das Problem wird noch viel größer, da es zudem Menschen gibt, die auch unter „Social Anxiety“ also „sozialer Angst“ leiden. Wichtig ist immer zu differenzieren, was genau gehört hier zum Introvertiert sein und wobei handelt es sich um Eigenschaften oder psychische Erkrankungen. (Denn Introversion ist keine Psychische Erkrankung!)
Ich könnte Stunden über dieses Thema schreiben und wäre immer noch nicht fertig. Deswegen hier nochmal eine kurze Zusammenfassung.
Ich bin introvertiert und habe das daran gemerkt, dass ich nach Familientreffen, Partys usw. anscheinend mehr Zeit brauche zum entspannen als z.B. meine Freunde. Wenn sich Freunde jeden Tag nach der Ausbildung noch zum Sport machen, Kaffee trinken oder kochen treffen, möchte ich einfach nur nach Hause. Wenn in Diskussionen die Argumente nur so hin und her fliegen und ich aber immer noch dabei bin mein Argument im Kopf vor zu sortieren und somit nicht zu Wort komme, kam ich mir blöd vor. Wenn alle um mich rum laut, impulsiv und wichtig sind, und ich den blöden Erzählstein in der 1. Klasse am liebsten gar nicht rübergereicht haben möchte, weil ich noch nicht im Kopf geübt habe was ich sage… Es sind unzählige Situationen in denen ich mir blöd vorgekommen bin. Aber das hat sich jetzt geändert. Zumindest teilweise, weil ich jetzt verstehe, wo das alles herkommt. Es ist wichtig für mich und liegt mir am Herzen diesen Artikel hier auf meinem Blog hochzuladen. Einfach um mal allen zu sagen, die es lesen wollen, wie toll Introvertiert-sein sein kann. Denn ich habe ganz andere Qualitäten. Ich bin zwar nicht laut, kann aber gut zuhören. Ich merke schnell, wenn es jemandem nicht gut geht, ich bin immer für alle da (wenn sie es denn wollen), ich arbeite gern allein und habe dabei meine besten kreativen Ideen, die mich erfüllen. Ich bin keine Spaßbremse oder unglücklich. Ich habe einfach nur eine andere Art das Leben zu genießen. Ich laden z.B. meine Energie gerne in der Natur auf, dort fühle ich mich gut. Ich liebe es Musik zu hören, Bücher zu lesen, Serien zu schauen. Und doch freue ich mich auf das gemeinsame Essen in Düsseldorf mit meiner Tante und meiner Schwester.
Ich bin nicht langweilig, ich erlebe nämlich auch gerne Abenteuer, und wenn du dich mir in einem bestimmten Maß öffnest, können wir gerne die ganze Nacht über das Leben philosophieren. Für manche scheint es wohl schwer zu sein Introvertierte zu verstehen und sich mit uns anzufreunden, aber uns reicht meistens einfach nur ein gesundes Maß an Einfühlungsvermögen und Reflektiertheit. Es gibt dazu auch z.B. auf Instagram ganz tolle Accounts, die zeigen, wie es gelingen kann und welche Vorteile es sogar haben kann Freundschaften zwischen Introvertierten und Extrovertierten zu führen. Es hilft also manchmal einfach auch nur zu versuchen das Gegenüber zu verstehen.
Ich hoffe ihr konntet aus dem Beitrag etwas mitnehmen, für Anregungen und Fragen stehe ich immer offen! 🙂
Quellen:
1. https://www.duden.de/rechtschreibung/introvertiert
2. https://www.duden.de/rechtschreibung/extravertiert
3. https://www.simplypsychology.org/introvert-extrovert.html
4. https://www.introvertiert.org/7-dinge-die-du-uber-introversion-wissen-musst
6. https://www.16personalities.com/de/kostenloser-personlichkeitstest
7. https://eu.themyersbriggs.com/de-DE/tools/MBTI
8. https://www.introvertiert.org/fragen-antworten
9. Buch: Still- Susan Cain (Die Kraft der Introvertierten)
10. https://eu.themyersbriggs.com/de-DE/tools/MBTI/MBTI-Step-I